Susanne Kessler "polimorphe Architektur"

Susanne Kessler

Manifold

Installation, Skulptur, Papier, Textil, Artist Books

23. März bis 28. April

 

Freitag, 22. März, 19 Uhr
Begrüßung von Dr. Olena Balun, Vorsitzende des Kunstvereins Rosenheim
Einführung von Dr. Johannes Nathan, Kunsthistoriker und Vorsitzender der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin

Sonntag, 28. April, 12 Uhr
Künstleringespräch mit Susanne Kessler und Dr. Olena Balun

Susanne Kesslers Arbeit, wie auch ihr Leben, ist von zahlreichen Reisen geprägt. Sie lebt heute abwechselnd in Berlin und Rom, hat viele Jahre in England und in den USA verbracht, arbeitete über längere Zeit in Pakistan, Indien und dem Iran, machte Studienreisen nach Kambodscha, Äthiopien, Mali und Guatemala. Das hat sowohl inhaltlich als auch technisch und formell ihre Kunst beeinflusst.

Susanne Kessler befasst sich intensiv mit Orten, Siedlungen, urbanen Strukturen und ihren Verflechtungen, Schichtungen und Grenzen, mit Architekturgebilden und deren sozio-kulturellen Aspekten. Topografische Karten als Überlagerung der Baugeschichten und Naturformen sind eine wichtige Quelle für die Künstlerin. Formell basieren sie auf Linien, dem wichtigsten Element in Susanne Kesslers Oeuvre, zwei- wie dreidimensional.

Die Reihe der Arbeiten mit dem Titel „Jerusalem“, die in der Ausstellung gezeigt werden, ist sehr anschaulich dafür. Jerusalem ist eine besondere Stadt, gezeichnet von einer immensen Geschichte im Dauerwandel, ein Schnittpunkt, an dem mehrere Kulturen, Religionen, Prozesse zusammenfließen und sich bekriegen, eine Dauerquelle der Inspiration, Begehrlichkeiten und bitterer, kaum lösbarer Konflikte.1

Die Künstlerin hat eine alte Karte der Stadt aus dem 19. Jahrhundert studiert.2 Wie jede Karte war auch diese von einem Liniengeflecht gezeichnet, wie ein Adersystem eines lebendigen Organismus. Als solchen begreift und zeigt Susanne Kessler diesen Ort in ihrer Kunst. Sie greift das Liniensystem der Topografie auf und baut und schichtet es organisch in ihren Großrauminstallationen und Plexiglaskästen auf. Drähte, Kabel, Plastik, Klebeband, Fäden – ein urbanes verworrenes und lebendiges System, das ein komplexes Geflecht des städtischen Lebens sehr anschaulich verkörpert. Die Hängekonstruktionen der Installationen sind massiv, erscheinen aber schwerelos. „Leichtigkeit, Ungebundenheit und das Erzeugen einer Aufbruchssituation sind wichtige Elemente in meiner Arbeit. Die Skulpturen reisen mit mir, sie bleiben nicht für immer oder über lange Zeiträume an spezifischen Orten. Sie brechen auf, um sich woanders in anderen Kontexten neu zu formieren“ – sagt die Künstlerin über diese Arbeiten3. Eine wichtige Rolle für die Entstehung und Entwicklung der Installationen spielte Malerei und Zeichnung. Zeichnerische Gesten wurden immer dynamischer, befreiten sich aus der Fläche. In den Plexiglaskästen schichtet die Künstlerin Cutouts: feine Wege, Grenzen und Wasseradern werden gezeichnet, ausgeschnitten und Schicht für Schicht überlagert, schimmern durcheinander durch, bilden neue komplexe Systeme. In diesem Labyrinth bewegt sich die Künstlerin mit der Leichtigkeit einer Ariadne, die ihrem Faden folgt. Apropos Faden. Stickerei ist ein beachtenswertes Kapitel in Kesslers Werk. Gestickte Arbeiten sind eine logische Weiterentwicklung der Zeichnungen für die Künstlerin. In der Ausstellung zeigt die Künstlerin auch ein Buch aus dem riesigen Konvolut ihrer Lebensbibliothek, mit der sie 1982 angefangen hat. Erfahrungen, Skizzen, Eindrücke werden darin festgehalten in Zeichnungen, Malereien, Fotografien, Collagen und Texten – ein Lebensarchiv, das inzwischen aus fast 40 Bändern besteht und andauernd fortgesetzt wird.4

Der Titel der Ausstellung manifold bezieht sich sowohl auf die Methothe als auch auf das gesamte Konvolut der Vielfalt im Oeuvre der Künstlerin. Der Begriff ist unter anderem eine Benennung für Mannigfaltigkeit in der Mathematik und Philosophie. Als Manifold (Mannigfaltigkeit) bezeichnet man einen topologischen Raum aus der euklidischen Geometrie. Letztere beschreibt die Möglichkeit, physische Räume zu modellieren in einer beliebigen endlichen Zahl der Dimensionen. Dabei bleibt immer die Möglichkeit der Rückführung auf die ursprüngliche Form. Und das entspricht in vielerlei Hinsicht der Methode der Künstlerin: aus der flachen Topografie neue mehrdimensionale Räume zu schaffen. Klingt abstrakt, ist aber in Susanne Kesslers Kunst durchaus anschaulich in der mannigfaltigen Umsetzung in verschiedenen Formaten und Techniken.

Olena Balun

 

1 Vgl. Sarah Bliss: Jerusalem. Text zur Ausstellung „Susanne Kessler – Jerusalem“, American University Museum, The Katzen Art Center, Washington DC, 2015, https://www.susannekessler.de/de/texte/ [10.03.2024]

2 Ebd.

3 Gespräch von Susanne Kessler und Achille Bonito Oliva, in: Susanne Kessler (Hrsg.): Framing Space. Sculptures and Installations 1984-2014, Berlin 2015, S. 45-54, hier S. 45.

4 Vgl. Ebd., S. 49

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