04.& 05.11.
2022
Gastkurator: Christian Schlaeffer
Projektteam: Dr. Olena Balun und Philipp Stähle
Mit freundlicher Unterstützung des KulturKlub Rosenheim e.V.
Die Kunst_Film_Tage 2022 sind Animationsfilmen gewidmet. Der Gastkurator Christian Schlaeffer bringt auf das Rosenheimer Kunstfilmwochenende Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler, von denen viele die Schule des Londoner Royal College of Art repräsentieren.
Schlaeffer ist Animator und Kurzfilmregisseur, er macht Illustrationen, Storyboards und Concept Art für Werbung, Fernsehen sowie Museen. Er hält mehrere Lehraufträge inne, darunter am Royal College of Art London, der Hochschule Augsburg und der DSK Supinfocom in Pune (Indien). Seit 2020 konzipiert er VR-Videoprojekte für Bühnenbilder am Staatstheater Augsburg sowie programmiert und gestaltet dort Stücke für die Virtual Reality Online-Spielstätte, das Elektrotheater.
Eintritt: Mitglieder KV und KulturKlub 3 Euro / Nichtmitglieder 5 Euro
PROGRAMM
Freitag, 4. November, ab 19 Uhr
Daniela Sherer (IL)
BLUE, 2015, 2:42 min
PEREGRINE, 2020, 3:08 min
Abb. ©Daniela Sherer
Daniela Sherer arbeitet als Illustratorin und Animatorin, ihre Filme verbinden geometrische Abstraktion mit narrativen Inhalten. Sie erzählt Geschichten von Fragilität durch Formen, die zu jedem Zeitpunkt zu zerfallen drohen, sich dann jedoch fließend verwandeln und zu neuen Bildern zusammensetzen, die wiederum nur von begrenzter Dauer sind. So entstehen zarte Werke, die ständig im Werden begriffen sind, und wie die Musik, die sie begleitet, nicht stillstehen können, sich zeitlich entfalten müssen.
“Blue” erzählt von dem Versuch, durch einen chirurgischen Eingriff Erinnerungen zu entfernen, wodurch diese aufgewühlt und wieder erlebt werden, bevor sie verschwinden können.
“Peregrine” illustriert Elemente aus J.A. Bakers Roman “The Peregrine”. Baker beschreibt darin über das Jahr 1962 hinweg Sichtungen von Wanderfalken, die nahe seines Hauses in Essex überwinterten. Seine präzisen Beobachtungen gibt er dabei lyrisch verdichtet wieder. Sherer übersetzt seine romantische Ehrfurcht vor den Naturgewalten in grafische Poesie der bewegten Bilder.
Peter Millard (GB)
HOGAN, 2011, 1:27 min
THIS IS PIG MEAT, 2019, 3:49 min
Abb.©Pete Millard
Peter Millard (*1987) reduziert seine Filme technisch wie gestalterisch auf essentielle Elemente wie Farbe, Fläche und Strich, die an der Grenze zwischen Figürlichkeit und Abstraktion balancieren und im zeitlichen Verlauf gerade genug Ähnlichkeit miteinander haben, um als Sequenz wahrgenommen zu werden. Millard plant seine Filme nicht im Detail im Voraus, sondern lässt sich vom Fluss der Arbeit leiten, was in der Animation unüblich ist. Diese Filme zeigen häufig eine eklektische Mischung aus Figuren und Einflüssen aus Trivial- und Popkultur sowie Stimmen von Authoritätspersonen, die Millards Arbeit kritisieren.
Bruce Bickford, der in den 1970ern psychedelische Knetmasse-animationen für Frank Zappa produzierte, zählt zu Millards wichtigen Referenzen. Ähnlich wie Bickfords mutierende Figuren und Landschaften befindet sich bei Millard alles in ständiger Bewegung. Der Stil ist expressiv, die Zeichnungen krude und spontan, die Kolorierung hält sich nich brav an die Linien der Zeichnung. Millard zählt nicht umsonst den Skateboarder Marc Gonzalez, den Künstler Jean Michelle Basquiat oder den Musiker Daniel Johnston zu seinen Vorbildern.
Der Kurzfilm “Hogan” behandelt das auf und ab der Karriere des Wrestlers Hulk Hogan, welche Millard versucht, in einer abstrakten Charakterstudie nachzuvollziehen.
Sarina Nihei (JP)
RABBIT’S BLOOD, 2017, 7:40 min
POLKA DOT BOY, 2020, 4:42 min
Abb.©Sarina Nihei
Sarina Nihei wurde mit ihren Arbeiten vielfach auf den größten Animationsfestivals der Welt ausgezeichnet, u.a dem Ottawa International Animation Festival Independent Short Film Grand Prize 2015, und Best Animation at Indie Lisboa 2018. Sie studierte Grafikdesign in Tokyo, und wurde in ihrer Arbeit darüberhinaus stark von der estnischen Animationstradition wie z.B. Priit Pärn beeinflusst. Diese zeichnet sich durch starke Geschwindigkeitsskontraste und einen Hang zum Absurden und zum schwarzen Humor aus. Jene charakteristische Melange reichert Nihei mit ihrer eigenen Ästhetik an. Sie arbeitet sehr traditionell auf Papier mit nur geringem Einsatz digitaler Mittel. Dadurch entsteht eine unruhige Oberfläche ihrer Filme, die Sehgewohnheiten und damit unsere Wahrnehmung herausfordert.
Ihre Filme scheinen in einer gemeinsamen düsteren Welt stattzufinden, in der die Gewalt der Figuren gegeneinander, aber auch gegen sich selbst gerichtet ist. In der religiöse Kulte genauso wie seltsame bürokratische Rituale zur Normalität gehören. Die Künstlerin beschreibt das Gefühl von Verzweiflung als Triebfeder ihrer Kreativität und als Grund für die Wiederholung ähnlicher Elemente in ihren Filmen.
Luca Tóth (HU)
MR MARE, 2019, 19:26 min
Abb.©Luca Tóth
Luca Tóth gehört zur jungen Generation ungarischer Animatorinnen, die international große Erfolge feiern, darunter auch auf Festivals, die sich nicht ausschließlich Animationsfilmen widmen. Tóth konzipiert in ihren Filmen Geschichten von Charakteren und grotesken Welten, die in langsamer Entwicklung ein kurioses Eigenleben entfalten. Sie schafft oft verzerrte Abbilder der Realität, um darin soziale Verhältnisse zu erforschen. In “Mr. Mare” konzentriert sie sich auf das Innenleben ihrer Figuren mit ihren emotionalen Pathologien, und erlaubt ihnen, das Narrativ voranzutreiben.
Christian Schlaeffer (DE)
RETURN OF JOHN FRUM, 2010, 7:26 min
DEWBERRY EMPIRE, 2013, 7:45 min
Abb.©Christian Schlaeffer
Christian Schlaeffer (*1983) begreift Animation als eine Form des Filmemachens, die ihre eigene Kritik bereits beinhaltet. Während Disney davon träumte, gezeichneten Figuren Leben einzuhauchen, geht Schlaeffer davon aus, dass man sich auf die Tendenz des menschlichen Gehirns verlassen kann, sich selbstständig bewegenden Dingen Intention zuzuschreiben. Daher ist er nicht versucht, besonders lebendig wirkende und flüssige Animation zu produzieren. Er legt seine bildnerischen Mittel der digitalen Zeichnung offen, lässt keine Striche vom Computer glätten, der zeichnerische Stil und die Entfaltung narrativer Inhalte gehen ineinander über. Damit hat seine Arbeit mehr mit Lars von Triers Dogville und Brechts epischem Theater gemein als mit Disneys Traumfabrik.
“The Return of John Frum” folgt strikt dem Konzept keine Geschichte zu erzählen. Die Regeln des Filmemachens und der Dramaturgie werden zwar beachtet, aber die einzelnen Bilder verweisen nicht aufeinander, sondern auf Bezüge aus Anthropologie, Kunst- und Kolonialgeschichte. Mit dem Film stellt der Künstler die Frage in den Vordergrund, inwiefern der Sinn einer Erzählung von den Zuschauenden selbst geschaffen wird.
“The Dewberry Empire” nutzt die Form eines Kinderfilms um auf ironische Weise über die britische Monarchie zu reflektieren, deren Fiktion bestehen bleibt, während die neoliberale Globalisierung die Bankenkrise erlebt.
Carla MacKinnon (GB)
O HUNTER HEART, 2018, 7:19 min
DEVIL IN THE ROOM, 2013, 7:54 min
Abb.©Carla MacKinnon
Carla MacKinnon (*1981) produziert experimentelle animierte Dokumentarfilme, in denen Techniken und Genres fluide koexistieren. Sie thematisiert dabei individuelle Erfahrungen, die in Form von Interviewausschnitten auf der Tonspur vermittelt werden. Primär arbeitet MacKinnon mit Puppenanimation, die sie wahlweise mit Realfilm mischt oder digital bearbeitet. Dabei nutzt sie das beunruhigende Potential der Puppenanimation, ähnlich den Gebrüdern Quay und Jan Švankmajer, um das Realitätsgefühl des Zuschauers zu destabilisieren.
So erklärt “Devil in the Room” das Phänomen der bewusst erlebten Schlafparalyse, auch als hypnagoge Halluzination bezeichnet, die von den Betroffenen oft als erschreckend und manchmal traumatisch empfunden wird und historisch mit Dämonen assoziert wurde. Der Film bearbeitet das Thema mit einer Mischung aus Erfahrungsberichten und wissenschaftlichen und historischen Betrachtungen, gepaart mit visuellen Horrorszenarien, umgesetzt in verschiedensten Techniken.
“O Hunter Heart” erzählt von
kurzen, intensiven Beziehungen, von Liebe und Verlust, metaphorisch illustriert durch die Beziehung einer Katze und einer Eule, die zusammmen in einem Puppenhaus wohnen. Die computergenerierten Bilder und Effekte von Christian Schlaeffer fügen sich nahtlos zusammen mit MacKinnons Puppenanimation zu einem düsteren Bild zwischenmenschlicher Gefühlslandschaften.
Robert Seidel (DE)
HYSTERESIS, 2021, 5:02 min (EPILEPSIE-WARNUNG)
Abb.©Robert Seidel
Robert Seidel (*1977) ist ein mehrfach gekrönter Experimentalfilmemacher und Installationskünstler. In seiner Arbeit ist er an der Grenzerweiterung von abstrahierter Schönheit durch kinematographische, technologische und wissenschaftliche Ansätze und deren emotionaler Wirkung interessiert. Im organischen Zusammenspiel verschiedener struktureller, räumlicher und zeitlicher Konzepte erzeugt er eine sich ständig transformierende Komplexität. “Hysteresis” erforscht das Verhältnis zwischen analoger Zeichnung und Projektion auf den Körper und erschafft im Zusammenspiel vielschichtige Feedback-Loops.
Die mit Versatzstücken aus Ballett, Butoh und Berliner Clubszene improvisierten Tanzbewegungen wurden gefilmt, digital von Machinelearning-Algorithmen interpretiert und wieder auf die Tänzerin zurück projiziert. Daraus entsteht ein konstanter Fluss pulsierender Bilder und komplexer räumlicher Konstellationen.
Gespräch mit Robert Seidel und Christian Schlaeffer
Samstag, 5. November, ab 19 Uhr
Ari Folman (IL/INTERNATIONAL)
THE CONGRESS, 2013, 123 min
Ari Folman (*1962) ist israelischer Filmregisseur, Produzent und Drehbuchautor. Er wurde mehrfach für den Oscar und für die Goldene Palme von Cannes-Filmfestival nominiert, und war selbst als Juror der Internationalen Filmfestspiele in Venedig berufen. Sein autobiografischer Animationsfilm “Waltz with Bashir” wurde mit dem Golden Globe Award ausgezeichnet.
Sein Werk “The Congress” ist die Verfilmung von Stanisław Lems Science-Fiction-Roman “Der futurologische Kongress”. Der Film ist ein Animationshybrid mit Zeichentrick- und Realfilmsequenzen, der 2013 international gedreht und produziert wurde. Folman entwirft darin eine verstörende Zukunftsvision, in der Filmindustrie maßgeblich das Leben beeinflusst. Filme werden ausschließlich am Computer gemacht, Schauspielerinnen und Schauspieler verfügen über keinerlei Rechte am eigenen Bild, sie werden zunehmend durch Körperscans und Avatare ersetzt. Mehr noch, Filme und Bilder können durch eine chemische Formel direkt ins Gehirn übertragen werden, so dass man sie jederzeit und überall abrufen oder gar selbst entstehen lassen kann. Diese gefährliche Illusion führt zum Realitätsverlust und Abdriften in eine Traumwelt, aus der die Rückkehr immer unmöglicher wird. Entgegen der Erwartung zeigt Folman diese Welt kaum durch eigentlich verfügbare Technik der Körperdigitalisate und Avatare, sondern durch gezeichnete Animation, die im Laufe der Handlung umso illusiorischer wird.